"Also gut. Ich erzähle Ihnen nun eine Geschichte… die mir vor einigen Jahren widerfahren ist. Und über die ich heute noch oft nachdenke. Weil sie… - Egal.
Eines Abend bin ich mit dem letzten Zug von Hamburg nach Berlin zurückgefahren. Ich hatte einige berufliche Termine gehabt, hatte eine Menge Leute getroffen und über einige Projekte gesprochen…
Es war gegen 11 Uhr Abends und ich war müde von einem anstrengenden Tag. Und… Naja. Schon auf dem Bahnsteig fiel mir eine sehr junge Frau auf, die ihrem Aussehen nach aus Indien kam.
Vielleicht 20 Jahre alt, sehr dunkle Haut, sehr schönes indisches Gesicht. Anfang Mitte 20. Und irgendwie hatte ich sofort ein… schlechtes Gefühl. Keine Ahnung, warum.
Ich dachte mir, naja, vielleicht wäre es das Beste, ich geh auf zum anderen Ende des Zuges. Am Besten ist… man hält sich aus allem raus… Aber dann… dachte ich… vielleicht ist es besser… ich würde mich neben sie setzten. Man weiss ja nie. Nur für den Fall…
Natürlich: Sie war sehr schön, sehr jung und wir tun, was wir tun, immer aus vielen verschiedenen Gründen, von denen wir nur sehr wenige selber bewusst kennen… Aber ich dachte wirklich auch daran… dass eine solche Frau in einem Zug in der ostdeutschen Nacht…- Naja. Aber egal.
Der Zug fuhr ein. Wir stiegen ein. Es war ein alter Zug. Eines der Modelle, in dem man noch Abteile hatte. So wie früher… in den 80igern… Es war ein tschechischer Zug. Der nach Prag fuhr.
Nach ein paar Metern sah ich dann die junge indische Frau in einem Abteil Platz nehmen. Ich zögerte kurz. - Und dann lief ich an ihrem Abteil vorbei. Denn genau genommen bin ich eher schüchtern und trau mich oft nicht die Dinge zu tun, die ich gerne tun würde.
Nach ungefähr 10 weiteren Abteilen, in denen alle einzelne Menschen sassen, die mir nicht sehr interessant vorkamen, entschloss ich mich dann doch spontan umzudrehen und zurückzukehren.
Ihr Abteil war immer noch leer geblieben und so öffnete ich die Tür nickte ihr ernst und freundlich zu und setze mich, den mittleren Platz zwischen uns freilassend auf den Platz an der Tür. in Fahrtrichtung. So wie sie.
Der Zug fuhr los. Sie arbeitete ruhig und konzentriert in einem Heft irgendwelche Tests ab. Offensichtlich war sie auf einer Art Hotelschule, wie ich aus meinen Augenwinkeln erkennen konnte.
So fuhren wir dahin. Die ersten 20, 30 Minuten vergingen und alles war entspannt. Und dann begann es. Dann begann der Alptraum.
Der Zug hielt in Ludwigslust und eine betrunkene Horde von aggressiven Nazi-Skinheads stieg in den Zug ein. In einer nicht enden wollenden Prozession liefen sie durch den schmalen Zuggang.
Nur die Scheibe des Abteils trennte uns von ihnen. Dreissig Zentimeter. Einer nach dem anderen. So viele betrunkene Skinhead-Nazis, wie ich noch nie gesehen hatte.
Alle mit gewaltbereiten geröteten Gesichtern und halbausgetrunkenen Bierflaschen in den Händen.
Ich dachte, dass das nur ein Albtraum sein kann.
Ein Albtraum von einem Albtraum.
Ich dachte, dass ich irgendwann aufwachen würde.
Aber es war auch klar, dass ich nicht träumte.
Ich sah verstohlen zu meiner Mitreisenden hinüber.
Sie konzentrierte sich sehr auf ihre Arbeit.
Sie hob nie den Kopf.
Ich nehme an, das war ein Versuch so wenig wie möglich Aufsehen zu erregen.
Denn natürlich hatte sie diese Meute wahrgenommen.
Und natürlich wurde sie von der Meute wahrgenommen.
Immer wieder suchte ich in den Gesichtern dieser verdammten endlosen Naziarmee, die vorüber marschierte, nach einem ersten Anzeichen.. einem plötzlichen Aufblitzen… …ein plötzlicher Ansatz eines Erkennens, dass da eine Frau mit einer anderen Hautfarbe sitzt.
Nur der Ansatz eines Ansatzes, die Idee einer Idee.
Eine Bruchstück einer Information, die sich auf einem mühsamen Weg durch das Gehirn im Bierrausch bahnt…
Und die, weil sie so lange braucht, nicht augenblicklich formuliert wird, sondern, durch die Hinterherdrängenden, die ständig weiter vorwärts drängten, schnell wieder weggeschoben wurde… …ihre Aktualität verlor…
Die aber trotzdem jederzeit später wieder auftauchen und aktualisiert werden kann…
Dann begannen die immer noch weiter Vorbeimarschierenden mit flachen Händen auf die gläsernen Abteiltüren zu schlagen…
Anscheinend wollten sie ihre Macht und ihre Aggression demonstrieren...
Immer wieder hörte ich wie einige sogar im Vorüberlaufen die Abteiltüren aufrissen….
Und genau das geschah dann auch in unserem Abteil.
Und plötzlich waren sie da…
Mit ihrer gewaltvollen hässlichen Gegenwart…
Ihrer alkoholvernebelten Präsenz von Dummheit und Angst und Hass...
Dem Pest-Gestank von Gewalt und Blut und Folter und Tod.
Ich zog die Tür augenblicklich wieder zu und wandte meinen Kopf schnell wieder einem Buch zu, dass ich auf meinen Knien hatte, um so zu tun, als würde ich gar nicht mitbekommen, was da… nur Zentimeter entfernt… los war…
Sie marschierten weiter.
Ich versuchte sie zu ignorieren.
Bloss keinen anzuschauen.
Denn ich wusste, dass ich dann Ärger bekommen würde.
Das war schon so oft der Fall gewesen.
Irgendetwas an der Art und Weise wie ich Menschen anschaue muss das auslösen…
Also hatte ich gelernt meinen Blick im Zaum zu halten.
Ich lass in meinem Buch.
Einem Buch mit Gedichten von Hölderlin.
Ich vertiefte mich in dieses Buch hinein.
in ein Gedicht…
An die Parzen…
Nur einen Sommer, gönnt, und einen Herbst, ihr Gewaltigen! zu reiferem Gesange mir…
dass williger mein Herz mir dann.. vom süssen Spiele gesättigt… dann mir sterbe…
Plötzlich herrschte Ruhe.
Der Strom war abgebrochen.
Die unheilvolle Prozession war vorüber.
Als hätte sie es nie gegeben.
Wie ein Spuk.
Aber es hatte sie gegeben.
Das war sicher.
Ich hörte sie noch… weiter hinten im Zug.
Die aufgerissenen Abteiltüren
Die Schläge gegen die Scheiben.
Ich konnte es nicht fassen.
Wie war es möglich, dass ich in einen solchen Albtraum lande?
Ich schaute zu meiner Mitreisenden herüber…
Sie war immer noch völlig in ihrer Hausarbeit vertieft.
Ich dachte kurz daran sie anzusprechen.
Mich mit ihr auszutauschen.
Aber dann… machte ich es doch nicht.
Ich sass da… und ich dachte fieberhaft nach.
Was würde passieren, wenn sie zurückkommen?
Wenn sie zurückkommen, die Tür aufreissen und irgendeine rassistische Scheisse anfangen würden?
Oder sich gegen mich wenden werden…?
Weil ich sie so blöd angeglotzt habe… was ich hatte.
Was würde ich tun?
Was könnte ich tun?
Rein körperlich habe ich natürlich keine Chance gegen eine Horde von mehreren Dutzend Nazis...
Absolut keine.
Das zu versuchen wäre quasi Selbstmord.
Aber was würde ich tun.. im Ernstfall?
Wenn sie hereinkommen würden und die junge Frau beleidigen, bedrohen oder gar angreifen würden?
Ich kann dann doch nicht nichts tun, dachte ich.
Nach all dem, was in der deutschen Geschichte geschehen ist…
Nach all dem, was ich darüber gelesen, gedacht, diskutiert gefühlt und geträumt habe…
Nach all dem, was meine Eltern und Großeltern nicht getan haben...
Nach all meiner Empörung.
Meiner abgrundtiefen Empörung über all die, die nichts getan haben…
die daneben gestanden haben.. zugeschaut haben… nicht eingeschritten sind… als sie ganz genau wussten… dass es jetzt an ihnen ist, jetzt etwas zu tun…
dass es höchste zeit war.
Aber was sollte ich denn nun tun?
Mich opfern?
Mich totschlagen lassen, um ein Zeichen zu setzen? Um diesen Feiglingen irgendetwas entgegenzusetzen?
Nur weil meine Eltern auch nichts getan haben, damals, als es so dringend notwendig gewesen wäre....
Deswegen soll ich mich jetzt heute hier opfern müssen?
Es musste doch irgendetwas anderes noch geben, was ich tun könnte…
Natürlich …
Ich könnte versuchen sie anzusprechen… mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Und nach und nach argumentieren…
sie irgendwie dazu zu bringen… einzusehen… dass sie das nicht tun sollten… müssen… dürfen…
Schließlich habe ich Rhetorik studiert…
Es ist Jahre her.
Aber es muss doch eine Möglichkeit geben…
Sollte ich vielleicht wirklich einfach eine Rede halten…?
Aufstehen und… sie zuerst anbrüllen... wie ein Irrer… und sie dann nach und nach in ihrer Verwirrung an ihrer Ehre packen... falls es die gab... am besten an ihrer deutschen Ehre - diese aber ganz und gar umdefinieren, ohne dass sie wüssten wie Ihnen geschieht...
Eine wütende empörte, sie verdutzende patriotische Rede halten...
Eine Rede an die Deutschen.
Ein deutsches Plädoyer.
Ja, würde ich anfangen… Wisst ihr was? - Ich bin stolz ein Deutscher zu sein. Wirklich. Richtig stolz.
Ich bin ein neuer Deutscher. Einer, der etwas in der Welt begriffen hat… Der etwas aus der Vergangenheit gelernt hat. Etwas Entscheidendes… alles Veränderndes.
Etwas, was mir meine Stolz und meine Würde als Deutscher wieder zurückgegeben hat…
Ja. Eine Rede. Ich werde eine Rede halten.
Die Rhetorik als Waffe einsetzen.
Eine Rede gegen Gewalt… gegen Rassismus… gegen dumpfen faschistischen Nationalismus… gegen völkischen Überlegenheitswahn… gegen alle jämmerlichen Versuche die eigene absolute Hilflosigkeit und Wut durch rohe Gewalt zu kaschieren…
Ein Plädoyer für eine gleichberechtigte friedliche Ko-Existenz aller Völker und Nationen…
Weil wir die globalen Probleme sowieso nur noch zusammen, als Weltgemeinschaft…
die angesichts des Anthropozäns eine Schicksalsgemeinschaft geworden ist,
ob wir es wollen oder nicht
Eine Schicksals-Gemeinschaft, die Führung braucht…
Meinetwegen.
Ein Plädoyer für die andere Welt, die möglich ist, in der wirklicher Sinn geschaffen werden kann, in der der Nihilismus überwunden werden kann, der die Wurzel all unseren Übels ist…
Denn das ist es doch am Ende auch nur, was ihnen fehlt…
Irgendein Sinn… eine Begründung.
Ein Grund unter den Füssen…
Wozu das alles gut sein soll…
All die Demütigungen des herrschenden entfesselten menschen-verachtenden pseudo-demokratischen Neoliberalismus…
Der ganze Scheiss Westen, der sich einbildet triumphierend am Ende der Geschichte zu stehen…
Dabei ist es eine total Monsterwelt, die der Westen da heran-gebrütet hat … das Ungeheuer eines entfesselten alles verschlingenden asozialen Turbo Neoliberalimus.
Und wir alle leider doch in dieser modernen entfremdeten Konsum Welt doch daran leiden, dass all das, unsere Konsum, unsere Arbeit, unsere Beschäftigungen keinen Sinn mehr geben… weil alles nur noch Markt geworden ist… und es keine Werte mehr gibt… nur noch Preise… die immer alle zu hoch sind …
Ein Plädoyer für eine bessere, eine gerechtere Form der Menschen-Gemeinschaft, eine sinnvollere Form der Gemeinschaft.
Einfacherer und direkter.
Eine Art Sozialismus, ja,
aber kein National-Sozialismus… etwas anderes... neues, etwas, was wir aus der Geschichte gelernt haben können… eine Gemeinschaft neuerer Art… eine andere Gesellschaft, in der es wieder Werte gibt…
Werte, die alle anerkennen.
Werte wie eine intakte Natur,
eine geschützte Existenzgrundlage,
friedliche gewinnbringende Koexistenz mit anderen Spezies,
Pflege regionaler Traditionen und Kulturen, globale traditionspflegende kulturelle Diversität gerade als Reichtum der Spezies begreifen...
Überhaupt: Das Überleben der Spezies in einem, wie wir immer genauer verstehen sinnlosen Universum als Sinn behauptend.. als Zweck, als Kampf...
In einem sinnlosen kalten unmenschlichen und unbegreifbaren Universum... unseren Sinn zu errichten, unseren menschlichen Sinn... unsere Humanität zu behaupten ... zu der wir... als Deutsche... auf unsere eigene unnachahmliche Art und weise… besonders beitragen könnten…
Wir haben eine Rolle … wir Deutschen.
Eine besondere Rolle. Schwer.
Schwierig… und fordernd.
Aber nichts vor dem wir uns feige wegducken können...
Und auch etwas, worauf wir nach und nach stolz werden können…
Denn das ist es doch, wonach wir uns sehnen… in unserer haltlosen Verunsicherung…
Dass es wieder etwas gibt… an das wir uns halten können… einen Norden… Werte.... Orientierung
Etwas an dem wir Halt finden… Sinn... Bedeutung...
Und da gibt es etwas.
Und zwar die grösste Herausforderung, die es geben kann.
Die Grösste, die man annehmen kann…. etwas, für das man wirklich stark sein muss…
Uns selbst unsere eigene Hilflosigkeit eingestehen, unsere absolute vernichtende Sinnlosigkeit anzuerkennen, uns unserer totalen Verzweiflung bewusst zu werden.
Sie zu durchleben.
Sie zu überstehen.
Und an all dem nicht zerbrechen. Nicht kaputtgehen. Sondern das alles überleben.
Und die Herausforderung der Sinnlosigkeit annehmen... und beginnen Sinn zu schaffen in einem sinnlosen Universum....
Eine planetarische Herausforderung
Die ganze Spezies ist da gefragt.
Und besonders die Deutschen, die schon immer tief gelitten und gedacht und gesehnt haben.
Wir, mit unsern unseligen Erfahrungen...
Wie haben da einen großen Beitrag zu leisten... gerade jetzt...
Einen wesentlichen Beitrag...
Auf den wir... wenn wir ihn leisten, ziemlich stolz sein könnten...
Wir sind als Spezies zur Kooperation gezwungen...
Wir müssen zusammenarbeiten...
Zum Vorteil unserer selbst.
Wie müssen unsere Angst überwinden und die Initiative ergreifen.
Das ist nun unsere Art die Welt zu erobern... durch Kooperation und Technik und Sinn.
Dann kamen wieder zwei Nazis vorüber... aber von hinten und ohne uns zu sehen.
Vielleicht sollte ich mich doch einfach in ein anderes Abteil setzen.
Oder mir einfach auch ein Bier holen.
Oder aufs Klo gehen...
Etwas wird hier geschehen… das ist klar.
Kann gar nicht anders.
Zuviel Alkohol Hass und Gewalt in der Luft.
Etwas wird hier geschehen...
Aber… ich muss bleiben.
Ich kann hier nicht weg.
Das geht nicht.
Dann würde ich mich für immer schämen müssen…
Oder zumindest so lange, wie es braucht, um das Geschehene zu verdrängen… und selbst dann würde das Verdrängte immer wieder auftauchen und mein Leben verderben…
Das kenne ich.
Hab ich genug gesehen…
Schliesslich habe ich Eltern.
Nein.
Das einzige was vielleicht Sinn machen kann ist das Reden.
Das Sprechen.
Das Erklären.
Überzeugen.
Überreden.
Vergessen wir mal für einen solchen Moment die ideale Kommunikation als eine gemeinsame Handlung in der man die anderen ernst nehmen muss.
Manchmal geht es einfach nur ums Überleben. Und da spielt Ethik keine Rolle mehr. Da geht es ums überreden, reinlegen, das Schlimmste verhindern, egal wie…
In dem ich ihnen eine patriotische Rede halte.
Über das Deutsche.
Über das Schöne und Gute und Wert und Sinnvolle am Deutschen.
Eine sehr patriotische Rede...
Über die Tatsache, dass ich tatsächlich stolz darauf bin Deutscher zu sein.
Ein moderner Deutscher, der, wozu nur wenige in der Welt in der Lage sind, es geschafft hat, etwas aus der eigenen Geschichte gelernt zu haben.
Ein moderner Deutscher, der es gelernt hat die Welt modern zu erobern, indem wir unsere wirtschaftliche Stärke und unsere maschinenbauernschlaue Überlegenheit in der Globalisierung ausgespielt haben…
Deutschland ist heute, nach all seinen historischen - sagen wir mal - Verwirrungen… eines der reichsten und wohlständigsten und produktivsten und auch moralischstem Völker der Erde…
Und auch unsere nationale Geschichte, wenn man von der Zeit zwischen 33 und 45 absieht, in der die National-Dilettanten uns beinahe ruiniert hätten, ist beinahe wieder hergestellt und wir können uns einreihen in eine würdige Reihe grosser Musiker und Dichter und Denker.
Und das wir uns unsere Weltherrschaft jetzt nicht aufs Spiel setzen können, nur weil eine Horde Verunsicherter jetzt durchdreht und die deutsche Hegemonie wieder untergraben will...
Und dann könnte ich zu Nietzsche wechseln, den ich lange studiert hatte, während meiner Studienzeit, und ich könnte sie vollends verwirren und ihnen zeigen, dass die sieg-garantierende Triebende Kraft am Deutschen nicht die nackte Gewalt ist, sondern die romantische Sehnsucht nach Sinn und Bedeutung und Selbstvergewisserung.
Und dann irgendeine nazimässige Kurve kriegen, die sie noch mehr verwirren würde, und die vollends ihre eigentliche Aggression dann in Verblüffung und Verduztung überführen würden…
In diesem Moment kam ein neuer Schwung Nazis vorüber. Krakeelend, lachend...
Und hinter ihnen ein schüchterner einsamer Polizist…
Der sie begleitet…
Immerhin… Ein Polizist… - aber ein Polizist und ein paar hundert Neonazis… ?
- Na prima…
Dann kommt der Zug in einem Bahnhof an.
Wittenberge sehe ich auf dem schlechtbeleuchteten Bahnhof...
Und dann sehe ich auf diesem Bahnsteig, dass der Polizist ausgestiegen ist… und auf den Bahnsteig herumsteht… und raucht.
Und ich warte und hoffe dass ich jetzt gleich die ganze Horde Nazis sehe, auf dem Bahnsteig, ausgestiegen und das endliche Schluss ist mit diesem Albtraum - aber nein: Der einzige der ausgestiegen ist, ist der Polizist.
Von den Nazis keine Spur.
Sie müssen noch im Zug sein.
Und dann fährt der Zug wieder ab...
In die pechschwarze Nacht hinein...
Der nächste Halt ist Berlin Spandau, aber es sind noch gute 60 Minuten bis dahin… ohne Stopp.
Der Albtraum geht weiter….
Das heisst: er beginnt jetzt erst richtig…
Denn jetzt kommen die Typen wieder zurück, aus der Richtung in der sie vorhin verschwunden waren, diesmal zurück zum Bordrestaurant,
um neues Bier zu holen und bei jedem einzelnen, den ich aus meinen Augenwinkeln fieberhaft verfolge, bleibt mir der Atem stehen und ich frage mich, was ich tun werde.
Jetzt im Ernst.
Was kann ich nur tun?
Und dann passiert es wirklich…
Einer bleibt stehen, vor unserem Abteil und er sieht meine indische Mitreisende an und grinst dabei betrunken und dämlich und legt seinen Kopf auf die Seite um sie besser zu betrachten und er steht da und überlegt.
Und jetzt steigt in mir der Gedanke auf, eine heisse Sehnsucht, dass ich jetzt wirklich gerne ein Pistole haben würde…
Und ich spüre, dass ich jetzt 100 Prozent bereit wäre… falls ich eine Pistole gehabt hätte… zu schiessen.
Aber der Nazi überlegt es sich anders… falls man in seinem trunkenen Hirn ncoh von Überlegung sprechen kann…
und er geht erst einmal noch ein Bier holen...
Aber was passiert, wenn er zurückkommt?
Mit seinen Kumpels…?
Vielleicht fühlte er sich nur zu alleine… Und er wird Verstärkung holen…
Was wird dann
Geschehen?
Soll ich gehen?
Das Abteil verlassen?
Das alles geht mich doch nichts an!
Ja: Mein Vater war in der Hitlerjugend, aber soll ich deswegen hier einen gewaltsamen Heldenschwachsinn tun?
Muss ich das? Ist das mein grossartiges Erbe als junger Deutscher???
Warum gehe ich nicht einfach?
Oder soll ich sie mitnehmen, uns in ein Abteil setzen in dem mehrere sind?
Was würde uns das nutzen?
Und der Weg dahin?
Was passiert, wenn wir irgendwelchen von diesen Typen auf dem Weg treffen?
Nein.
Und wieder kommen zwei von denen vorbei und ich stelle mich schlafend und lege meine Beine auf den Sitz gegenüber, nicht ohne vorher wiederwillig meine schweren Schuhe ausgezogen zu haben, mit denen ich mir in dieser Situation wesentlich angezogener vorgekommen war...
Ich stelle mich schlafen und bin bereit aufzuspringen und sie anzubrüllen in einem Akt von rasender idiotischer Rhetorik... und irgendetwas herbei zu improvisieren… von dem ich weiss, dass es reine Verzweiflung ist und weder mir noch irgendwem sonst etwas helfen wird.
-
Und plötzlich verstehe ich etwas Neues, Wesentliches über den Nationalsozialismus in Deutschland in den dreissiger und vierziger Jahren und die vielen verschiedenen Höllen, die er für so viele Menschen bedeutet hat.
Eine ganz andere Hölle als die für die Verfolgten und direkt Bedrohten und zu Tode Gequälten. Das ist klar.
Aber auch für die, die sich der Versuchung ausgesetzt fanden, sich hinter ihrer scheinbaren Ahnungslosigkeit oder ihrer egoistischen Gleichgültigkeit zu verstecken, war es auch eine Hölle.
Die Hölle, in der man bereit sein muss, nur weil man es nicht ertragen kann, anders weiter zu leben, sich selbst zu opfern… Sinnlos zu opfern, weil es ja nichts geändert hätte…
Oder die Hölle derer, die anders weitergelebt haben, egal wie bewusst sie sich ihrer persönlichen Möglichkeit der unterlassenen Selbstaufopferung geworden waren oder nicht, die aber wussten, dass es schäbig gewesen war, ehrlos, feige, unwürdig.
Es ist ein Dilemma.
Und die Frage ist, und das ist wirklich die dringendste Frage, die ich kenne, dich ich mir stelle, seit dieser Nacht:
Was können wir daraus lernen?
Was können wir tun, wissend, dass es wieder genau so kommen kann…
Kommen wird…
Und es wird…
Es kommt.
Das wissen wir.
Die Pendel der Geschichte schwingen langsam… aber gewalttätig.
Auf die 80 90 Jahre Frieden nach dem bisherigen Tiefstpunkt folgen mächtige Gegenbewegungen…
Und wir können uns noch so sehr darauf vorbereiten…
Wir werden völlig unvorbereitet davon getroffen werden.
Es ist verheerend.
—
Was dann folgte war jedenfalls eine der schrecklichsten Stunden meines Lebens…
Bei jedem Schritt den ich hörte geriet ich in totale Anspannung und völlig ungeklärte Bereitschaft aufzuspringen und - irgendwas zu tun?
Alle 5 Minuten schaute ich auf meine Uhr: Und wieder waren nur 45 Sekunden vergangen...
Irgendwo da hinten ist Berlin...
Die Zivilisation.
Aber hier sind wir im nichts...
In der finsteren Nacht in Ostdeutschland auf dem finsteren Land.
Hier gibt es keine Gesetze, nur das Gesetz des Stärkeren...
Und mich, mit all meinen Zweifeln und mit meiner Sehnsucht eine Pistole zu haben. Denn dann würde ich mich wehren.
Ja.
Ich würde schiessen.
Nicht weil ich daran glauben würde, dass ich mit einer kleinen Pistole gegen hundert Nazis gewinnen könnte…
Nur weil ich es einfach nicht ertragen könnte… nichts zu tun…
Ich würde aus Verzweiflung schiessen.
So wie ich aus Verzweiflung eine Rede gehalten hätte.
Es wäre eine Tragödie und ich wäre am Ende tot…
Aber…
Es wäre richtig gewesen.
Es gibt keine Möglichkeit noch einmal in einer solchen Situation nichts zu tun.
Nicht hier in diesem Land.
Nicht mit unsrer Geschichte.
Der sichere Tod darf uns nciht davon abhalten das Richtig zu tun.
Und das Richtige ist es unschuldige Menschen zu verteidigen.
Das ist sicher.
Irgendwann kam der Zug dann doch in Berlin an.
In Spandau.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mich eines Tages einmal so sehr freuen würde in Spandau anzukommen…
Endlich wieder zurück in der Zivilisation...
Und auch hier noch gefährlich genug...
Nachdem der Zug wieder weitergefahren war und wir auf Bahnhof Zoo zufuhren stand ich auf und packte meine Sachen zusammen.
Als ich fertig war sprach ich zum ersten Mal meine Mitreisende an:
Ich sagte, daß ich hier aussteigen werde, weil ich hier mein Auto geparkt habe und ob sie noch weiterfahren würde.
Sie sagte, daß sie noch bis Berlin Ostbahnhof fahren würde.
Ich sagte, hmm, es ist eine etwas merkwürdige Atmosphäre hier im Zug...
Ich weiss nicht ob es wirklich gut ist alleine hier im Abteil zu bleiben...
Sie lächelte mich an und sagte, ja, sie habe auch mitbekommen, daß es einige Fahrgäste gebe, die problematisch hätten werden können, aber hier sind wir ja in Berlin...
Da kann eigentlich nichts mehr geschehen...
Ich sagte, ok, „wenn Sie meinen, aber es ist überhaupt kein Problem, wenn Sie lieber mit aussteigen wolle, ich könnte Sie in meinem Auto mitnehmen, ich muss sowieso in den Prenzlauer Berg...“
Sie sagte sehr freundlich Danke, und Nein, also verabschiedete ich mich und sagte noch: Es tut mir wirklich sehr leid, daß wir hier in Deutschland solche Typen rumlaufen haben, die so eine Bedrohung sind. Man kann sich dafür als Deutscher dafür wirklich nur schämen...
Und dann stieg ich aus.
Auf dem Bahnhof sah ich auf einmal eine Menge Polizisten rumstehen, offensichtlich waren die auch im Zug gewesen, im vorderen und im ganz hinteren Abteil, wo die ganzen Nazis hingelaufen waren...
Ich fragte einen der Polizisten, was denn hier los war... er schaute mich an und sagte nur : 23. April. Hitlers Geburtstag. Jedes Jahr die selbe Scheisse... und er lächelte bedauernd.
Ich ging zu meinem Auto und fuhr nachhause...
Als ich an der Gedächtniskirche vorbeifuhr, und in die Budapesterstrasse einbog und dann am Tiergarten entlang fuhr musste ich plötzlich anhalten, weil ich plötzlich.... wie zusammenbrach.
Ich stieg aus und setzte mich auf diese Parkbank hier....
Und dann musste ich heulen.
Wie nach einer grossen Gewalttat, die man erlebt hatte.
Ich hatte einen Schock.
Einen richtigen Schock.
Ich sass in der lauen Frühlingsnacht auf einer Parkbank am Rande des Tiergartens und die Welt hatte sich für mich verändert.
Es war nicht mehr die Gleiche.
Ich beschloss mein Leben zu ändern…
Und das habe ich dann auch getan…
Aber das ist eine andere Geschichte…
PAUSE
Nur soviel.
Ja, Ich habe sozusagen eine Rede geschrieben…
Eine Rede über das, was es heisst ein wirklicher Mann zu sein…
Ein echter Mann, der keine Angst hat, vor dem Fremden, weil er keine Angst vor der eigenen Verunsicherung hat… weil er nicht mehr verunsichert ist… weil er voller Empathie und voller Würde und voller Entschiedenheit ist… und wirklich stolz ist.
Der auch keine Angst vor Frauen hat, sondern der selber Feminist ist und seien besondere Stärke durch Klugheit und Einfühlungsvermögen auch hier bewusst beweist...
Und der auch keine Angst hat vor den verunsicherten.
Denjenigen, die leiden, an der kalten Gewalt des sinnlosen Nihilismus des Neoliberalismus, der auf nicht ganz so leicht nachzuvollziehende weise das Resultat der großen Idee der Aufklärung geworden ist.
Ich verstehe sie, die leidenden, die um ihre radikale Verunsicherung vor sich selbst zu verbergen sich in eine Position der Überlegenheit, der Stärke, der Gewalt und der Verachtung gezwungen werden.
Ich verstehe sie und ich verstehe die Tragik und die Unmöglichkeit diese Situation zu entspannen.
Und ich sehe die Notwendigkeit, sich ihr mit aller Vehemenz entgegenzustellen und niemals wieder eine solche Entgleisung zuzulassen.
Es ist kein Opfer, was man erbringt, wenn man in einer solchen Situation möglicherweise sterben sollte.
Es ist eine Notwendigkeit.
Und deswegen habe ich mir, vor einigen Tagen, viele Jahre später - nun doch endlich eine Pistole gekauft..."